Ein Bandscheibenvorfall an der HWS stellt ein schmerzhaftes und unangenehmes Problem dar – er kann im Extremfall auch zu einer Querschnittsläsion oder entsprechend der Höhe auch theoretisch zum Tod führen. Ein Vorfall ist definiert als Austritt des Nucleus pulposus durch den Anulus fibrosus (Abb. 1).

Abb. 1a: BS Prolaps C 6–7; Z.n. erfolgloser posteriorer Operation (extern)
Entsprechend der Lokalisation des Bandscheibenvorfalles kann es zu Reizungen einzelner Nerven kommen, die wiederum zu den Dermatomen entsprechenden ausstrahlenden Beschwerden, Dysästhesien bzw. Lähmungen führen können. Mediane Vorfälle können auch Rückenmarkreizungen verursachen, die mit klinischen Erscheinungsbildern wie bei der cervicalen Myelopathie einhergehen können.

Abb. 1b: Ventrale Fusion C 6–7 (Cervios® Peek Käfig + Kunstknochen +
ventrale Platte, da instabil durch Voroperation)
Des Weiteren sind typisch Nackenschmerzen, ein zervikothorakaler Hartspann und lagebedingte Beschwerden, die sich aber genauso auch wieder durch Lageänderung verbessern können. Kopfschmerzen,Schwindel und Übelkeit sind ebenso möglich wie der sogenannte „Hexenschuss“oder „eingeschlafene“ Finger oder Hände.
Überhaupt sind ausstrahlende Schmerzen in Schulter und Arm bzw. Finger wegweisend. Gangbildstörungen oder auch Harn-Stuhlprobleme kommen vor, sind aber selten.
Diagnose
Nervendehnungstests können positiv sein, wobei hier der gestreckte Arm in elevierter Position nach hinten geführt oder auch das Handgelenk überstreckt wird, um damit einen Nervendehnungsschmerz (analog zum Lasegue-Zeichen oder dem Slump-Test) auslösen zu können. Des Weiteren lassen sich dermatombezogene Sensibilitätsstörungen, Lähmungen, Reflexstörungen finden.
Zusätzlich empfehlen sich klinische Untersuchungen wie der Kinn-Jugulum-Abstand und die Beweglichkeit der HWS in allen Ebenen, wobei Seitneigung und Seitrotation dem Vorfall entsprechend eingeschränkt sein können.
Ebenso sollte auch eine Untersuchung der Schulter angeschlossen, in der Minimalvariante zumindest ein Nacken-Schürzengriff geprüft werden.
Als Differenzialdiagnosen kommen Karpaltunnelsyndrom (CTS), Sulcus nervi ulnaris Syndrom, Schulterpathologien bzw. Thoracic Outlet Syndrom (TOS) in Frage.
Bildgebung
Bei Verdacht auf Bandscheibenvorfall ist die MRT-Untersuchung die Methode der Wahl (Abb. 1).
Eine Computertomographie ist bei dieser Fragestellung als obsolet anzusehen (Ausnahmen sind akute Probleme, die eine schnellstmögliche Untersuchung erzwingen – CT steht oft schneller zur Verfügung – oder Schrittmacher-Träger und dgl.).
Es empfiehlt sich auch eine Nativröntgen- und zur weiteren Diagnostik die Funktionsaufnahmen bzw. für spezielle Fragestellungen schräge Aufnahmen der HWS.
Nativröntgenaufnahmen helfen auch in der Therapieplanung, da mit ihnen auch die Wirkbelsäulenstellung mit z.B. einer Entlordosierung oder überhaupt einer Kyphosierung (Abb. 2) und dergleichen erkannt werden kann.

Abb. 2: Fusion C 5–6 (Cervios® Peek Käfig + Kunstknochen)
Dies hat auch in der operativen Planung einen großen Stellenwert, da das MRT nur im Liegen durchgeführt wird und z.B. eine Spondylolisthese vollkommen reponiert sein und so übersehen werden kann.
Therapie
Es stehen konservative und operative Therapieoptionen zur Verfügung, wobei in der konservativen Behandlung zuerst eine Entkrampfung und Detonisierung des muskulären Hartspannes anzustreben ist. Wichtig ist aber, zugleich Stabilisierungsübungen zu erlernen, welche vom Patienten regelmäßig (täglich) durchzuführen sind.
Die konservative Therapie kann sinnvoller Weise mit Bildwandler- oder CT-gezielten Wurzelblockaden kombiniert werden. Auch Quaddelungen v.a. des zervikothorakalen Überganges und tiefe Infiltrationen bis hin zu Triggerpunktbehandlungen können sehr hilfreich sein.
Kommt es unter konservativen Maßnahmen zu keiner Beschwerdelinderung oder verstärken sich die Beschwerden, so ist die Operation angezeigt (dies auch entsprechend der Gefahren, wie sie im Kapitel cervicale Myelopathie beschrieben sind).
Den Goldstandard markiert die ventrale Ausräumung der Bandscheibe bzw. des Vorfalles, wobei hier hinter das hintere Längsband präpariert werden muss, um auch durchgetretene und sequestrierte Bandscheibenanteile zu finden. In weiterer Folge wird durch das Ausräumen der Bandscheibe eine ventrale Stabilisierung notwendig. Hier wiederum gibt es verschiedene Möglichkeiten:
1.) die Fusion des operierten Segments, entweder mit Eigenknochen des Patienten oder vorgefertigten Käfigen (Abb. 2). Diese bieten den Vorteil, dass sie in unterschiedlichen Höhen und Größen vorhanden sind und mit Kunstknochen gefüllt werden können. Daher wird ein zusätzliches Knochenernten am Patienten, was immer wieder zu sog. „Donor Side Pain“ führen kann, unnotwendig. Es ist unangenehm, wenn der Patient von Seiten der HWS schmerzfrei ist, jedoch persistierende Beschwerden an der Knochenentnahmestelle am Beckenkamm hat. In den meisten Fällen ist eine zusätzliche Plattenfixation bei einer einsegmentigen ventralen Fusion der HWS nicht notwendig. Ab zwei Segmenten erscheint diese aber durchaus sinnvoll.

Abb. 3a: BS Prolaps C 5–7 + knöcherne Foramenstenose p.m. C 5 – 6
2.) Alternativ zur Fusion gibt es die Implantation einer künstlichen Bandscheibe, die den Vorteil des Beweglichkeitserhaltes in diesem Segment hat und wesentlich unproblematischer, um nicht zu sagen unkritischer als die künstliche Bandscheibe an der LWS zu sehen ist (Abb. 3). Abgesehen von operationstechnischen Schwierigkeiten ist die wichtigste Komplikation bei der Implantation einer künstlichen Bandscheibe an der HWS (diese soll ja die physiologische Beweglichkeit des Funktionssegments erhalten) eigentlich die spontane Fusion im operierten Segment – was in der Alternativvariante der Fusion gewünscht ist.

Abb. 3b: Fusion C 5–7 (+ ventrale Platte)
3.) Der dorsale Zugang bei einem Bandscheibenvorfall ist nur bei stark lateral liegenden Vorfällen indiziert und sollte überhaupt nur Grenzindikationen vorbehalten sein, da man große Teile der Lamina entfernen muss, um überhaupt in den Spinalkanal zu gelangen. Im Spinalkanal findet man meist große epidurale Venen, die zu unangenehmen, fast unstillbaren Blutungen und zum Abbruch der Operation führen können. Zusätzlich muss das Manipulieren des Rückenmarks unbedingt vermieden werden, was aber den Weg zum Prolaps nach ventral weiter erschwert, ja sogar unmöglich machen kann.
4.) Alternativ zum dorsalen Zugang, der die Idee des Erhalts der Bandscheibe bzw. des Funktionssegmentes im Sinne einer Physiologischen Bewegungsfunktion anstrebt, gibt es die Möglichkeit des ventrolateralen Zuganges, der wiederum nur bei lateralen Bandscheibenvorfällen indiziert ist. Hier wird ein Teil des lateralen Anulus fibrosus und des Unkovertebralgelenkes entfernt, um so den Bandscheibenvorfall zu entfernen.
Conclusio
Bei guter präoperativer Abklärung und Operationstechnik ist bei infauster konservativer Therapie oder zunehmender Beschwerdesymptomatik die Bandscheibenoperation an der HWS ein indizierter und erfolgversprechender Eingriff, der nur geringe Muskelläsionen setzt, da beim Zugang nur der Musculus omohyoideus durchtrennt werden muss, was postoperativ nur geringe Schmerzen verursacht. In über zwei Drittel der Fälle ist mit sehr gutem bzw gutem Ergebnis zu rechnen.
Vor einem zu langen Zuwarten mit der Operation muss gerade bei zunehmender Neurologie bzw. myelopathischen Beschwerden gewarnt werden.