Diabetisches Fußsyndrom

Von Gerd M. Ivanic, N.C. Homann, H.-J. Trnka

Das Diabetische Fußsyndrom – Therapie und Prophylaxe mit Carbonfaser-Kork-Einlagen

Das diabetische Fußsyndrom ist entsprechend der zunehmenden Anzahl an Diabetikern in den Industrieländern ein volkswirtschaftliches Problem. Um eine suffiziente und kostengünstige Behandlung zu ermöglichen, wurde eine Einlage konstruiert. Der Vorteil liegt in der geringen Stärke und dem niedrigen Gewicht. Im vorliegenden Artikel werden diese konservativen Therapiemöglichkeiten und erste Erfahrungen an 51 Patienten präsentiert.

Beim diabetischen Fuß stehen die Neuropathie und Angiopathie im Vordergrund, wie diese Erkrankungen auch alleine ohne Diabetes vorkommen können. Die periphere arterielle Verschlusskrankheit ist ein Beispiel dafür. Aufgrund der falschen Ernährung mit häufiger Adipositas und dem zunehmenden Älterwerden der Bevölkerung in den westlichen Ländern gibt es immer mehr Menschen, die mit Fettstoffwechselstörungen und der Zuckerkrankheit zu kämpfen haben (Garancini et al.; Laakso et al., 1991; Schmidt, 1998). In den letzten Jahren waren es verschiedene medizinische Fachrichtungen, die darauf aufmerksam wurden. Der Orthopäde ist vor allem durch das „Diabetische Fußsyndrom“ mit dem Diabetes konfrontiert. Hier gilt es einerseits Symptome und Folgen der Neuro- und Angiopathie zu behandeln. Gerade die Prophylaxe ist auf lange Sicht, vor allem auch volkswirtschaftlich betrachtet, das Geheimnis zum Erfolg (Borsen et al., 1996; Ivanic et al., 1998).

Foto Diabetisches Fusssyndrom

Hautgeschwür am diabetischen Fuß (Foto via Wikipedia)

Jährlich werden allein in Deutschland eine Milliarde Euro für Amputationen aufgewendet, wobei jede zweite Amputation dem Diabetes und seinen Folgeerscheinungen zugeschrieben werden muss (Schmidt, 1998). Die Behandlung vor allem des Typ-II-Diabetikers ist meist sehr schwierig und man hat mit immensen Compliance-Schwierigkeiten von Seiten der Patienten zu kämpfen. Für den Fuß bedeutet dies, dass der Patient oft erst mit manifest gewordenen Problemen wie zum Beispiel Ulcerationen vorstellig wird. Bei der Behandlung werden gerade von jüngeren Patienten orthopädische Schuhversorgungen meistens abgelehnt. Dies ist bei dem immer jünger werdenden Patientengut einerseits verständlich, birgt aber andererseits bei der Behandlung große Schwierigkeiten in sich.

Es war daher das erklärte Ziel der Autoren, eine Behandlungsform zu finden, die die Mitarbeit des Patienten sicherstellt. Unter Behandlung wird sowohl die Prophylaxe von schwerwiegenden Fußproblemen verstanden als auch deren Therapie.

De häufigsten Probleme des diabetischen Fußsyndroms liegen im Vorfußbereich. Hier kommt es auch aufgrund des Verlustes des physiologischen Gewölbeaufbaues des Fußes zu Knochenvorsprüngen, an denen Druckspitzen und daher Ulcera entstehen können (Levine und Myerson, 1995.). Am Vorfuß sind die häufigsten Druckstellen plantar des 2. bis 4. Mittelfußköpfchen und lateral des 5. Metatarsophalangeal-Gelenks bzw. des 5. Os metatarsale zu finden. Es gibt nun verschiedene Möglichkeiten, diese Ulcera zum Abheilen zu bringen. Im angloamerikanischen Raum wird hierzu gern der sogenannte „Total Contact Cast“ verwendet (Myerson et al.; Myerson und Wilson, 1991.). In Europa werden regional sehr unterschiedliche Behelfe wie Orthesen und Therapie- oder Diabetikerschuhe benutzt. Neuere Alternativen sind Walker Boots und Vorfußentlastungsschuhe (Ivanic et al., 1998; Saltzmann et al., 1992.).

Foto Offene Wunde bei einem diabetischen Fusssyndrom

Offene Wunde bei einem diabetischen Fusssyndrom (Foto via Wikipedia)

Aus der Sicht orthopädischer Schuhzurichtungen ist eine Abrollhilfe für den Vorfuß mit einer Sohlenversteifung, um so eine Druckverteilung zu erreichen, noch immer eine ausgezeichnete Therapie. Problem ist, dass diese Schuhzurichtungen, entsprechende orthopädische Maßschuhe und auch die oben genannten Behelfe zwar durchaus zweckdienlich sind, aber gerade von jüngeren oder modebewussten Patienten abgelehnt werden; Hat doch der Diabetiker sehr häufig keine Schmerzen, ist sich auch der drohenden Situation des Beinverlustes nicht bewusst und verdrängt derartige Gedanken.

Einlagen stellen aufgrund der relativ geringen Kosten und der schnellen Verfügbarkeit eine gute Alternative dar. Von den damals erhältlichen Einlagenrohlingen (durchgehende Carbonfaser-Einlagen – zu steif; Weichschaumeinlagen oder Kunststoffkombinationen – teils zu dick, zu weich, schlechte Hautatmung) war kein den folgenden Kriterien genügendes Modell zu finden: Die Einlage muss leicht, dünn und relativ billig sein. Aus den beschriebenen Grundüberlegungen heraus sollte diese Einlage also folgende Kriterien erfüllen: Sie sollte langsohlig sein; eine zunehmende Vorfußversteifung vom Mittelfuß ausgehend, eine elastische Versteifung sowie eine Abrollhilfe eingebaut haben; eine grobporige, die Kontaktfläche vergrößernde Deckfläche zum Fuß hin haben; einen Rand zum Schuhrand hin haben, der eine Reibung zwischen Fuß und Schuh verhindert und die Ferse gut halten können.

Die Einlage sollte so konstruiert sein, dass die gängigen Schuhzurichtungen bereits beinhaltet sind und die Verwendung von einfachem Schuhwerk wie Sport- und Konfektionsschuhen möglich ist. Damit sollte eine Stigmatisierung, wie es durch verschiedene Spezialschuhe leider oft der Fall ist, vermieden werden und ein möglichst normales Leben wie das der Nachbarn und Freunde/-innen und die Mitarbeit der Patienten erreicht werden.

Material und Methode

Zu den oben genannten Bedingungen wurde eine Einlage entwickelt, die aus einem Materialmix aus Kork, Carbonfaser und Plastazote gebaut ist. Von der Ferse bis zu den Metatarsalköpfchen wird ein Kork-Einlagenteil, ähnlich 2/3-Einlagen, verwendet. Im Fersenbereich reicht der Korkteil ein bis zwei Zentimeter nach proximal, sodass die Ferse guten Halt findet. Auf den Einlagenkork wird plantarseits vom Mittelfuß beginnend ein tropfenförmiger Carbonfaserteil aufgebracht. Das Carbon ist unter dem Mittelfuß schmal geschnitten und wird zu den Metatarsophalangeal-Gelenken hin immer breiter. Hier erreicht die Einlage ihre größte Breite und wird nach distal hin wieder etwas schmäler. Durch diese Form wird eine gleichmäßig zunehmende Druckübernahme nach distal hin bei der Schrittabwicklung ermöglicht. Weiters wird aufgrund des schmalen Teiles unter dem Mittelfuß die physiologische Fußtorsion in der Abrollphase ermöglicht. Um einen möglichst normalen Gang und eine Druckentlastung des Vorfußes, vor allem der Mittelfußköpfchen, zu erreichen, ist das Carbon in Wellenform gearbeitet. Es wird dadurch in Anlehnung an eine Schuhrolle das Abrollen wesentlich erleichtert.

Zusammenfassend ermöglicht die Tropfenform des Carbons eine gute Druckverteilung vom Mittelfuß nach distal. Die Vorfußwiege erleichtert das Abrollen und je nach Materialstärke wird die aufgenommene Energie wieder abgegeben. Damit wird die Schrittabwicklung erleichtert und gleichzeitig der Druck auf den ganzen Vorfuß verteilt, sodass keine kleinflächigen Druckspitzen entstehen können. Um diesen Effekt zu verstärken, lassen die Autoren von den Orthopädietechnikern Plastazote auf diese Einlagen aufbringen. Plastazote ist ein sehr grobporiges, raues Material, das ähnlich den Microvilli im DArmbereich die Oberfläche vergrößert und dadurch eine weitere Druckverteilung und eine Durchblutungsberbesserung ermöglicht. Jedwede andere Deckung der Einlagenbasis ist möglich. In der folgenden Studie wurde Plastazote verwendet. Die Deckung wurde über den Einlagenrand überstehend belassen, um so einen Schutz zum Schuhrand zu haben.

Patienten

51 Patienten (29 Frauen, 22 Männer) wurden nach folgendem Therapieschema behandelt. Das Durchschnittsalter war 62 Jahre (39 bis 83 Jahre). 37 der Patienten litten an Wagner-Typ-I- und 11 Patienten an -Typ-II-Ulcerationen. 3 Patienten waren an Wagner-Typ-III-Läsionen erkrankt (Levine und Myerson, 1995.). Die Ulcera waren generell Erstmanifestationen. 40 Patienten waren Diabetiker vom Typ II, 11 Patienten litten an nicht diabetischen neuro-vasopathischen Fußproblemen.

Therapieprinzip

Das Wichtigste am Anfang ist die Druckentlastung. Die Autoren verwenden hierfür Vorfußentlastungsschuhe mit durchgehender Sohle (Darco Ortho Wedge, Buratto, Rathgeber-Bioform). Mit diesen Schuhen lässt sich sehr gut eine Druckverminderung im Vorfußbereich erzielen, wie durch eine gesonderte Studie festgestellt werden konnte (Trnka et al., 2000). Voraussetzung ist eine lange durchgehende Sohle ohne Kante. Für diese Druckentlastung eigenen sich auch Total Contact Casts oder Unterschenkel-Walker (z.B. Aircast Diabetic Walcer©), wobei die Vorfußentlastungsschuhe kostengünstiger, weniger zeitintensiv und für den Patienten angenehmer sind. Weiters erhalten die Patienten zweimal täglich Betaisodona-Fußbäder für maximal 5 Minuten.

Danach gutes Trocknen der Haut und Verwendung von speziellen Wundverbänden, wie z.B. hydro-kolloidosmotische (diese werden entsprechend ihren Eigenschaften verschieden lange belassen) oder auch nur trockene Verbände entsprechend des Wundzustandes. Ein Wunddebridement, um nekrotisches und stark verschmutztes Material zu entfernen, ist obligat. Bei diesem Debridement werden die Ulcusränder bis zu einer beginnenden Blutung angefrischt. Amputationen wurden in diesem Patientenkollektiv primär keine durchgeführt. Sollten sie notwendig sein, wird versucht, nach vorliegendem Gefäßstatus und eventuellen Begleiterscheinungen wie zum Beispiel einer Osteomyelitis oder einer ausgeprägten Osteoarthropathie so wenig wie möglich, aber so so viel wie notwendig zu amputieren.

Wenn das Ulcus geschlossen bzw. in einem bereits fast abgeheilten Zustand ist, werden vom Bandagisten, Orthopädietechniker oder -schuhmacher Einlagen nach Modell produziert, de nach den oben genannten Gesichtspunkten gefertigt werden (als Basis dient ein Rohling des Systems CarboPlus der Fa. Rathgeber-Bioform, Heilbronn bzw. OFA Bamberg). Diese Einlagen werden anfangs nur über kurze Zeiträume abwechselnd mit den Vorfußentlastungsschuhen getragen. Wichtig ist es, in dieser Zeit kurzfristig die Füße und Einlagen der Patienten zu kontrollieren, um so einen passenden orthopädietechnischen Behelf zu erhalten. Mit Fortdauer der Behandlung können die Abstände zwischen den Kontrollen größer werden bzw. nach Vorliegen einer gut passenden Einlage können die Vorfußentlastungsschuhe weggelassen werden, wobei die Schuhe bei Auftreten von Hautdefekten oder Vorstadien sofort wieder verwendet werden können.

Die Einlagen können aufgrund ihrer geringen Stärke in vielen Konfektionsschuhen verwendet werden. Wichtig ist aber, dass die Füße in den Schuhen genug Platz haben und nicht durch zu enge Verhältnisse Schaden nehmen bzw. es dadurch zu Druckstellen kommt. Unbedingt nötig sind hier Konfektionsschuhe, die für Einlagen konzipiert sind oder Sportschuhe, die eine austauschbare Einlage haben.

Resultate

Die 51 Patienten wurden nach dem beschriebenen Therapiekonzept behandelt. Nach einer durchschnittlichen Nachuntersuchungsdauer von 14 Monaten (11 bis 18 Monate) zeigten sich folgende Ergebnisse. Die Ulcera von 39 Patienten waren abgeheilt und bei deren periodischen Nachuntersuchungen war es zu keinen Rezidiven gekommen. Sie verwendeten ihre Einlagen täglich in verschiedenen Schuhen. Entsprechend der Anforderungen waren die Einlagen immer wieder verändert oder neu angefertigt worden, um eine gute Passform zu erzielen. Es kam zu 9 Rezidiven bei den Ulcera und es mussten drei Füße amputiert werden (zwei Chopart-Amputationen, eine Unterschenkelamputation). Zu erwähnen ist hier, dass 2/3 dieser Problempatienten nicht zu ihren regelmäßigen Untersuchungsterminen erschienen und erst aufgrund der neu aufgetretenen Ulcera wieder vorstellig wurden. Vier dieser Patienten verwendeten die nicht mehr passenden Einlagen noch zeitweise.

Diskussion

Epidemiologische Studien zeigen, dass die Diabetesinzidenz und damit die diabetischen Fußprobleme steigen. Da die Mitarbeit der Patienten bei den gängigen Therapien sehr oft mangelhaft ist und eine steigende Anzahl dieser Probleme zu vermerken ist, ist es an allen, neue Strategien und Behandlungskonzepte für diese Problem und die darunter leidenden Menschen zu finden. Mit der vorgestellten Therapie mit den eigens konstruierten Spezialeinlagen war gerade das Problem der Compliance gut in den Griff zu bekommen, wodurch ermutigende Behandlungserfolge erzielbar waren.

So wichtig für die Autoren bei der Behandlung von Ulcera ein suffizientes Behandlungskonzept ist, um so mehr Bedeutung hat die Prophylaxe derartiger Fußprobleme. Aber gerade der diabetische Fuß bereitet bei der Vorbeugung große Schwierigkeiten. Er verursacht keine Schmerzen und der Patient ist nicht gewillt, Therapien, die ihn im täglichen Leben behindern, zu akzeptieren. Er will weiter wie seine Freunde und Nachbarn leben und nicht stigmatisiert werden. Mit den vorgestellten Einlagen lässt sich dies sehr gut bewerkstelligen, da sie in einem Großteil der Konfektionsschuhe und Sportschuhe getragen werden können.

 

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