Im Rahmen der Behandlung von Schmerzpatienten mit funktionellen Gelenksstörungen nimmt die Manuelle Medizin einen zunehmend größer werdenden Stellenwert ein. Im Folgenden werden Begriffe und Anwendungsmöglichkeiten dargestellt.
Die Manuelle Medizin ist die medizinische Disziplin, in der unter Nutzung der theoretischen Grundlagen, Kenntnisse und Verfahren aller medizinischer Gebiete die Befundaufnahme am Bewegungssystem – dazu gehören alle Strukturen, die in neuroreflektorisch-humoraler Wechselwirkung zum Bewegungsorgan stehen, sowie die Behandlung ihrer Funktionsstörungen mit der Hand unter präventiver, kurativer und rehabilitativer Zielsetzung – erfolgt. Diagnostik und Therapie beruhen auf biomechanischen und neurophysiologischen Prinzipien (lt. BÄK).

Palpation der Funktionsbewegung; Sternoclaviculargelenk li.; Bewegungen werden von peripher nach zentral fortgeleitet, funktionelle Zusammenhänge werden erschlossen und beurteilt.
Die Manuelle Medizin integriert alle mit der Hand ausführbaren Techniken, die sowohl die Diagnostik als auch die nachweisbare Wirksamkeit der Therapie zum Ziel haben. Eine Besonderheit der Manuellen Medizin liegt darin, dass Phänomene mit der Hand erfasst werden können, die anderen diagnostischen Verfahren verborgen bleiben. Von Bedeutung ist die Unmittelbarkeit zwischen Untersuchung und Beurteilung des Befundes – es liegt keine Zeitdifferenz vor, innerhalb derer Befundänderungen möglich sind.
Ergebnis der Wertung der Befunde aus der Funktionsuntersuchung:
- eigenständige lokale Befunde
- Befunde als Teil in der Kontinuität der Bindegewebe des menschlichen Organismus
- Befunde mit Auswirkung auf reflektorische Vorgänge
- Befunde mit ihrer Bedeutung in Regelungs- und Steuerungsketten.
Damit wird nicht an den „Bewegungsapparat“, sondern an das Bewegungssystem im Gesamtorganismus gedacht.
Indikationsgebiete
Die fachgerechte Anwendung der Manuellen Medizin erfordert die Kenntnis ihrer Indikationsgebiete – sie umfasst im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes die interdisziplinäre Anwendung ihrer diagnostischen und therapeutischen Techniken zur Erkennung und Behandlung gestörter Funktionen des Bewegungssystems der Wirbelsäule und der Extremitäten und der davon ausgehenden Beschwerden. Dabei finden auch Verkettungen von Funktionsstörungen innerhalb des Bewegungssystems, vertebroviszerale, viszerovertebrale und viszerokutane sowie psychosomatische Einflüsse ihre angemessene Berücksichtigung.

Funktionelle Zusammenhänge: Schulter-Nacken-Dreieck, obere Extremität. Störungen im Schulter-Nacken-Dreieck (blockierte 1. Rippe, „verspannte Nackenmuskulatur“, usw.) können Schmerzbilder vom Hinterhaupt bis zur Hand hervorrufen. Die Patienten klagen über schmerzhafte Bewegungseinschränkungen bis hin zu massiven Leistungseinschränkungen.
Kontraindikationen
Es gibt eine Reihe von Bedingungen, unter denen eine manualmedizinische Manipulation mit Impuls an der Wirbelsäule nicht durchgeführt werden darf. Dazu zählen unter anderem Destruktionen wie Abszesse, Frakturen oder klinisch relevante Bandscheibenerkrankungen, sowie akute entzündliche Veränderungen im somit nicht mehr ausschließlich funktionell beeinträchtigten Gelenk.
Manuelle Diagnostik
Die korrekte Untersuchung mit der geschulten Hand ermöglicht ein multidisziplinäres, komplexes Beurteilen des betreffenden Wirkgefüges. Die Darstellungen 2 und 3 machen die Beschleunigungsleistung der Extremitäten im Zusammenwirken mit der stabilisierenden Aufgabe der Wirbelsäule in einem funktionellen Gesamtkonzept deutlich. Die manuelle Diagnostik umfasst eine Funktionsanalyse an den Strukturen des Bewegungssystems bzw. Suche nach Ort und Art der Funktionsstörung.
Artikuläre Dysfunktion
Ist ein Abweichen von der normalen Gelenkfunktion im Sinne der Hypo- oder Hypermobilität.
Segmentale Dysfunktion
Ist ein Abweichen von der normalen Segmentfunktion im Sinne der Hypo- oder Hypermobilität. Gegenstand der Manuellen Medizin ist die reversible segmentale Dysfunktion.
Therapieansatz

Funktionelle Kette: Lenden-Becken-Region, untere Extremität. Die Darstellung zeigt funktionelle, muskuläre Zusammenhänge beginnend an der LWS bis in die untere Extremität und führt zum funktionellen Verständnis multisegmentaler, multiartikulärer Zusammenhänge (Knieschmerzen als Folge von Störungen in der Lenden-Becken-Region und umgekehrt, „ischialgiformer Schmerz“). Für diese beiden Regionen – wie auch für weitere – gilt, dass sich die Beschwerdesymptomatik über Monate langsam entwickeln kann, wobei oft eine vermeintliche Bagatellverletzung bzw. Fehlbewegung die oben genannten Folgen nach sich zieht und der kausale Zusammenhang für den Patienten nicht mehr gegeben scheint.
Die manualmedizinischen Behandlungstechniken legen das Vorgehen bzw. den Wirkungsmechanismus fest. Sie greifen in bekannte, neurophysiologisch begründete, reflektorische Mechanismen mit dem Ziel ein, funktionelle Störungen des Bewegungssystems zu beheben, vegetative Fehlfunktionen zu beseitigen und schmerzinhibitorische Systemkomponenten zu aktivieren. Angewendet werden Weichteiltechniken einerseits (Kapsel-/Bandstrukturen, Muskulatur), sowie der Definition der manualmedizinischen Manipulation entsprechend direkte gelenksnahe Handgriffe von kurzer Zeit, kurzem Weg und kleiner Kraft (manualmedizinischer Impuls) innerhalb der vorher zu überprüfenden Bedingungen am blockierten Gelenk. Funktionell zusammenhängende Strukturen und Gelenke erfordern eine entsprechend kombinierte Behandlung.
Die Eigenverantwortlichkeit des Patienten ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Beratung im Hinblick auf die Änderungen seiner Lebensweise und auf die Möglichkeiten der Prävention in einem holistischen Ansatz vom „Begreifen“ zum „Behandeln“. Die Situation im Umgang mit Schmerz, Schmerztherapie und dementsprechenden Behandlungsbestrebungen erfordert es, die Wertigkeit von Diagnose und diagnosebezogener Therapie betreffend Kompetenz eindeutig festzulegen.
Das heißt, auf die verantwortungsvolle Position des Arztes ist unmissverständlich hinzuweisen. Unverzichtbar für die Ausübung der Manuellen Medizin ist das Vorliegen einer Approbation als Arzt, sowie die für das ÖÄK-Diplom für Manuelle Medizin geforderten theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten. Manipulationen an der Wirbelsäule sind ausschließlich dem Arzt vorbehalten.