Sport ist generell aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Für den einen bedeutet drei Stockwerke Stiegen zu steigen Sport, für den anderen beginnt dies erst bei einem Triathlon. Für die Wirbelsäule heißt es in jedem Fall Arbeit. Arbeit wird heutzutage leider mit Negativem vergesellschaftet. Dabei sind gleichmäßige, durchaus auch die Wirbelsäule belastende Bewegungen und Belastungen für sie gut, wie ein Auto auch gefahren werden soll, da sonst ein „Stehschaden“ droht.
Die Wirbelsäule (WS) hilft uns nicht nur, aufrecht zu gehen, sondern sie ermöglicht auch eine Bewegung im Raum durchzuführen, ohne dass wir uns von der Stelle bewegen müssen. Entsprechend dieser Beweglichkeit wird die Wirbelsäule unterschiedlich belastet. Unabhängig davon, ob nun in der Prophylaxe, in der Therapie oder in der Rehabilitation, es kommt auf die allgemeine Biomechanik der Wirbelsäule bzw. auf die Sportart-spezifische Belastung und die individuelle Belastbarkeit der Wirbelsäule an.
Die Bewegung der WS setzt sich aus Aneinanderreihung von Bewegungen der einzelnen Segmente zusammen. Das einzelne Funktionssegment nach Junghanns besteht aus zwei Wirbelkörpern, der dazwischen liegenden Bandscheibe und der umgebenden Weichteilstrukturen. Es ist das die kleinste funktionelle Einheit der Wirbelsäule. Die Bandscheibe als Zentrum hat v.a. zwei Funktionen: die Stoßdämpfung und die Rotationseinschränkung. Kommt es im Rahmen der Degeneration zu einer Erniedrigung der Bandscheibe, führt dies einerseits zu einem Dämpfungsverlust, andererseits aber auch zu einer vermehrten Beweglichkeit im betroffenen Segment. Beides führt zu einer Mehrbelastung der Gelenke, die sich entsprechend arthrotisch verändern. Durch die dadurch entstehenden Spondylophyten, das Bandscheiben-Bulging und die Ligamentum-flavum-Verdickung kommt es in weiterer Folge auch zu einer Neurokompression. Die verstärkte Rotation ist in der Sportausübung zu berücksichtigen, da sie schnell zu Problemen, z.B. beim Golf, Tennis oder Skifahren, führen kann.
Daher muss die Wirbelsäule durch ihre sie umgebende und bewegende Muskulatur stabilisiert werden. In der Therapie steht das gestörte Segment im Mittelpunkt. Da im Normalfall eine „Schutzspannung“ die Wirbelsäule zu schützen versucht, kommt man oft nur sehr schwer an dieses Funktionssegment heran. Es ist daher notwendig, zuerst durch entkrampfende und detonisierende physikalische Therapiemaßnahmen diese Schutzspannung abzubauen. Gleichzeitig muss Stabilität im Segment aufgebaut werden. Es ist zu bedenken, dass die Physiotherapie zwar die Funktion verbessern kann. Wirklich Muskel aufbauen wird sie aber nicht. Es ist daher in weiterer Folge notwendig, z.B. mit „Medizinischer Trainingstherapie“ die Wirbelsäule stabilisierende Muskulatur zu stärken (dies funktioniert auch in der Prophylaxe sehr gut!). Hierbei wird an einzelnen Geräten nach einem Eingangstext und Erstellung eines Trainingsplanes Muskulatur aufgebaut. Das Training und der Verlauf sollten unter Ansicht und Hilfestellung von Physiotherapeuten, MTFs oder Sportwissenschaften erfolgen.
Für die Medizinische Trainingstherapie (MTT) gibt es in entsprechenden Instituten verschiedene Geräteparks, um in geschlossenen und offenen Ketten bis hin zur Kletterwand zu arbeiten.
Gerade bei bereits bestehenden Pathologien sollte vor Trainingsbeginn eine Physiotherapie erfolgen. Der sofortige Muskelaufbau ist oft kontraindiziert, da dadurch nur die der Wirbelsäule ferne Muskulatur verstärkt wird, die WS-nahe Muskulatur aber weiter fettig atrophiert. Dadurch wird zwar oft am Beginn eine Beschwerdelinderung erzielt, die schuldhafte Pathologie entwickelt sich aber weiter.
Was ist bei verschiedenen Sportarten zu bedenken?
Radfahren
Hier ist die entsprechende Rahmengröße zu beachten. Ist das Rad zu klein, so wird es zu einer Rundrückenbildung kommen. Ist das Rad zu groß (Abstand Sattel – Lenker), so wird es zu einer Überstreckung und dadurch zu einer Lordosierung im Bereich der Wirbelsäule kommen. Diesen Effekt kann man entsprechend einem Rundrücken oder Flachrücken positiv nutzen.
Schwimmen
Wie beim Radfahren ist hier zu berücksichtigen, dass der entsprechende Schwimmstil auch eine Auswirkung auf die Wirbelsäule hat. Beim Brustschwimmen wird in der Wirbelsäule gestreckt, um Luft zu bekommen. Beim Rückenschwimmen wird an der BWS kyphosiert bzw. in der LWS entlordosiert, um entsprechend atmen zu können. Hat jemand z.B. eine Hyperkyphose an der BWS, so wird das Rückenschwimmen abzulehnen sein, da hier die Kyphose verstärkt wird. Hier wäre Brustschwimmen z.B. bei einem Morbus Scheuermann mit entsprechender Rundrückenbildung von Vorteil, um hier allein durch die Schwimmtechnik selbst therapeutisch positiv zu wirken.

Kinesis – Training in der offenen Kette
Nordic Walking, Skilanglauf
Durch die zwei verwendeten Stöcke wird die Symmetrie des Körpers positiv beeinflusst. Die Aufrichtung des Oberkörpers unter Verwendung von zwei Stöcken verbessert beim Nordic Walking das Gangbild und die Körperhaltung. Zusätzlich erzielt man eine kräftigende Wirkung an allen Extremitäten und dem Rumpf und verbessert die Koordination und Kondition.
Golf
Beim Golfspiel ist zu bedenken, dass große Kräfte durch den doch mindestens 1m vom Körper entfernt geschwungenen Schläger auf die Wirbelsäule treffen. Der Schwung sollte bei Wirbelsäulenproblemen mit dem ganzen Körper erfolgen, sodass das Bewegungsausmaß in den einzelnen Segmenten gering ausfällt und der Schlag sozusagen mit dem ganzen Körper durch den Ball geführt wird. Mit Trainern (Pros) sollte entsprechend geübt werden. Schon ein geringerer Aufschwung kann so manches Problem lindern, weshalb eine entsprechende Schwungtechnik und Ausrüstung zu fordern sind.
Skifahren
Beim Skifahren ist es richtig, dass durch entsprechende Beintechnik die Wirbelsäule nicht zu sehr beansprucht wird. Des Weiteren bieten die neuen Skitechniken Möglichkeiten, schonend zu schwingen. Über taillierte Skier kann z.B. durch Gewichtsverlagerung der Schwung eingeleitet werden, was das falsche Rotieren des Oberkörpers zu vermeiden hilft.
Sport bei einzelnen Pathologien
Skoliose
Hier sollte gerade bei Jugendlichen auch entsprechend der Schweregrad mit einbezogen werden:
Skoliose 10-20 Grad: Es sind prinzipiell alle Sportarten möglich, eine spezifische Empfehlung über das entsprechend „richtige Ausüben der Sportart“ ist nicht notwendig. Schulsport ist möglich. Regelmäßiger Sport mit unterschiedlichen Disziplinen entspricht eigentlich schon einer Art Krankengymnastik.
Skoliose 20-40 Grad: Es sind noch alle Sportarten möglich, wobei starke Stoßbelastungen der Wirbelsäule vermieden werden sollten. Schulsport ist hier eher bedingt zu empfehlen, bei Orthesenversorgungen dürfen diese während der Sportausübung nicht getragen werden.
Skoliose über 40 Grad: Auch hier ist Sport empfohlen, wobei hier Ausdauersportarten für ein kardiopulmonales Training zu empfehlen sind. Auch sonst sind leichte andere Sportarten, wie z.B. auch Skifahren, Schwimmen und Langlaufen, möglich (ohne Orthesen und Mieder). Stoßbelastungen unbedingt vermeiden!
Sport nach Skolioseoperation: Generell ist Sport nach Skolioseoperationen wieder möglich, wobei hier die Lokalisation und die Länge der Fusionsstrecke zu bedenken sind. Zur Sicherheit sollte Sport erst ca. ein Jahr nach Operation bzw. nach gesicherter Fusion durchgeführt werden. Sportarten, bei denen eine große Wirbelsäulenbeweglichkeit notwendig ist, wie z.B. Turnen, Delfinschwimmen oder Sprungsportarten, sollten vermieden werden wie auch jene mit Feindeinwirkungen, wie z.B. Eishockey und Fußball.
Morbus Scheuermann: Sport sollte sehr vorsichtig durchgeführt werden, wobei die Lokalisation, die Ausprägung, die laufende Therapie und die Fehlstellung der Wirbelsäule ausschlaggebend sind. Generell sind Sportarten, bei denen eine große Wirbelsäulenbeweglichkeit notwendig ist, wie z.B. Schwimmen (siehe oben), Nordic Walking und dergleichen sinnvoll. Weiters sind Sportarten bekannt, die vermehrt mit Morbus Scheuermann vergesellschaftet sind, wie z.B. Kanufahren, Basketball, Volleyball, Judo oder Turnen. Leistungssport sollte mit einem Morbus Scheuermann nicht durchgeführt werden.
Sport nach Wirbelsäulenoperationen
Zum Beispiel nach Fusionen oder künstlichen Bandscheiben: Voraussetzungen für die Sporterlaubnis sind ein korrektes Röntgen, Stabilität, Wiederherstellung der Statik bzw. der entsprechenden Biomechanik. Generell sind Sportarten von Vorteil, die schon vor der Operation gut beherrscht wurden. Die Operation sollte beim Hobbysportler ca. sechs Monate zurückliegen. Ein der Sportart adäquates Bewegungsausmaß ist notwendig, es bedarf einer guten muskulären Führung und Koordinationsfähigkeit bzw. auch einer entsprechenden kardiopulmonalen Tauglichkeit und Kondition.

Dr. Gerd Ivanic und Dr. Bernd Harter mit Patienten
Ungünstige Belastungen bei Wirbelsäulenproblemen und nach Operationen sind hohe Spitzenbelastungen, axiale Stauchungen, asymmetrische Belastungen, Biegebelastungen, rotierende Bewegungen und starke Extension. Abrupte Bewegungsänderungen, extreme Bewegungsausschläge, große Stoßbelastungen, maximaler Krafteinsatz, hohe Gewichtsbelastung oder ausgeprägte koordinative Ansprüche sind abzulehnen. Kampfsportarten sollten generell nicht ausgeführt werden. Günstige Sportarten für die Wirbelsäule sind alle Ausdauersportarten mit gleichmäßigen, rhythmischen Bewegungsabläufen, geringer Kraftentfaltung, guter Dosierbarkeit, Verbesserung der kardiopulmonalen Situation und mit positiven psychischen Auswirkungen.
Conclusio
Sport ist für die Wirbelsäule generell als positiv zu bewerten. Wichtig ist es aber, bei der Ausübung die Sportart und ihre Intensität den individuellen Möglichkeiten anzupassen. Die Wirbelsäule benötigt eine gute Muskulatur, um zu funktionieren. Es muss daher das Ziel sein, diese Muskulatur zu erhalten bzw. zu verstärken. Die assistierte „Medizinische Trainingstherapie“ stellt hier die ideale Ergänzung dar, da damit der optimale Muskelaufbau für den Einzelnen gesichert werden kann.